Senioren und ihre Sorgen

geändert am 10. November 2023

Umfrage verdeutlicht Mangel an Anerkennung für Senioren

Unsere Bevölkerung altert zunehmend, wobei die Geburtsgruppen ab 1960 einen dominierenden Anteil ausmachen. Daher ist es der richtige Zeitpunkt, um herauszufinden, wie Rentner in Deutschland zu Themen wie Politik, Gendern, Rente und Co. stehen, und wo Veränderungen notwendig sind. Eine repräsentative Studie des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der „Bild am Sonntag“ gibt einen konkreten Einblick in das Leben der Menschen über 65 Jahre.

Senioren
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Wie groß ist der Bevölkerungsanteil der Generation 65 plus?

Demografischer Wandel in Deutschland: Die größte Altersgruppe sind die 1964-Geborenen mit insgesamt 1,4 Millionen Menschen, so die Prognosen des Statistischen Bundesamtes. Im Jahr 2021 waren insgesamt 18,4 Millionen Menschen über 65 Jahre alt, was einem Anteil von 22,1 Prozent an der Gesamtbevölkerung entspricht. Mit rückläufigen Gesamtbevölkerungszahlen steigt der Anteil älterer Menschen weiter an.

Was lieben Rentner?

Das Bild der Rentner in Deutschland zeigt, dass sie gerne öffentlich-rechtliches Fernsehen schauen, in ihrer eigenen Wohnung alt werden möchten und zwei von drei Senioren dem Gendern skeptisch gegenüberstehen. Auch die Einschätzung, dass Helmut Schmidt der beste Kanzler war, ist keine Überraschung.

Was befürchten Rentner?

Ein herausragendes Thema für Menschen ab 65 Jahren ist der Mangel an Respekt gegenüber dem Alter. 74 Prozent glauben, dass die Gesellschaft den Älteren nicht ausreichend Achtung entgegenbringt. 52 Prozent sind der Ansicht, dass die Politik die falschen Themen priorisiert. Vier von zehn Rentnern sagen, dass es in Deutschland nicht gut möglich ist, alt zu werden, wobei Einsamkeit dabei eine bedeutsame Rolle spielt. 23 Prozent fühlen sich manchmal einsam und sechs Prozent sogar häufig.


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Familienministerin Lisa Paus betont in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“, dass es in unserer Gesellschaft oft an Respekt vor den Älteren mangelt. Deutschland sollte sein Bild vom Alter überdenken und Senioren mit mehr Wertschätzung begegnen, so ihre Aussage.

Wie ist die finanzielle Situation der Senioren?

Die finanzielle Situation könnte auch zu den negativen Umfrageergebnissen beitragen. 38 Prozent der Rentner sind der Meinung, dass ihr Geld nicht für ein gutes Leben ausreicht. In der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen sind es sogar 43 Prozent. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich werden im Alter besonders deutlich.

Rentnerinnen leiden vermehrt unter einer niedrigen Rente. Der Anteil an Frauen, die eine Rente unter 1.000 Euro erhalten, liegt bei 38,2 Prozent. Je höher die Rente, desto geringer ist der Frauenanteil.

Warum sehen Rentner ihre Zukunft eher negativ?

Insgesamt zeigt die Umfrage ein eher pessimistisches Bild. Viele Rentner fühlen sich unwohl, haben oft zu wenig Geld, um glücklich zu sein, und fühlen sich unverstanden und nicht gehört. Die voranschreitende Digitalisierung der letzten Jahre, insbesondere durch die Pandemie, trägt wahrscheinlich ebenfalls zu diesem Gefühl bei. Trotz der zunehmenden Digitalisierung haben viele Rentner keinen Internetzugang (72 Prozent) oder kein Smartphone (37 Prozent). Dieses Gefühl der Ausgrenzung ist daher nicht überraschend.

Was ist in den letzten 15 Jahren schiefgelaufen?

Vor 15 Jahren sah das Ergebnis noch ganz anders aus. Die damalige Generation 50 plus gehört heute zu den über 65-Jährigen. 2008 schien die Welt noch in Ordnung, da zählten die Senioren noch zu der aktiven Bevölkerung, die ihr Leben in vollen Zügen genoss. Sie schätzten Erlebnisreisen, Kinobesuche und schwungvolle Tanzpartys. Sie gehörten zur Mittelschicht. Die überwiegende Mehrheit fühlte sich nicht alt. Es gab selbst Befürchtungen, dass die CDU wegen dieser vitalen Senioren ihre Kuschelecke bei den Älteren verliert.

Studie von 2008: Generation 50 plus

Die Generation der 50- bis 70-Jährigen präsentiert sich so vital wie keine zuvor: Die Älteren, einschließlich der 68er, führen ein aktives Sexualleben, tendieren politisch mehrheitlich nach links und setzen sich dem Rentenalter entschieden entgegen. Dies ergab die erste umfassende Online-Befragung der Universität Osnabrück in dieser Altersgruppe.

Die Forschungsgruppe 50+ führte die Erhebung im Februar und März 2008 mit Unterstützung der Karstadt Quelle Versicherungen durch.

Vielfältige intime Kontakte

Laut der Universität gaben etwa 80 Prozent der Männer und über 60 Prozent der Frauen an, regelmäßig vielfältige intime Kontakte zu pflegen. Sie schätzen Erlebnisreisen, Kinobesuche und schwungvolle Tanzpartys. Paare äußerten sich zu 80 Prozent zufrieden mit ihren Beziehungen, und 90 Prozent gaben an, am liebsten Zeit mit ihrem Partner zu verbringen.

CDU möglicher Verlierer des demografischen Wandels

Die CDU könnte möglicherweise eines der ersten Opfer des demografischen Wandels werden, so der Leiter der Studie, Dieter Otten. Diese Generation repräsentiert mit 113 Prozent des Durchschnittseinkommens wirtschaftlich gesehen die eigentliche Mittelschicht. Mit 22 Millionen Menschen stellt sie die größte Wählergruppe der nahen Zukunft dar, wobei 45 Prozent dieser Gruppe angehören. Anders als in der Vergangenheit tendieren ältere Wähler dieser Gruppe nicht nach rechts, sondern nach links: 56 Prozent würden bei einer Bundestagswahl SPD, Grüne oder Linke wählen (Stand: 15. März 2008). Otten betonte, dass die CDU in Zukunft eines der ersten Opfer des demografischen Wandels werden könnte, „wenn die über 75-jährige CDU-Bastion allmählich ausscheidet“.

Die 1960er Jahre brachte Kulturrevolution

Otten fügte hinzu: „Aus den ’Kritikern der Elche’ wurden später nicht selber welche. In gesellschaftlicher Hinsicht nicht politisch hat die Kulturrevolution der 1960er Jahre so gut wie gewonnen.“ 43 Prozent könnten sich das Leben in einer Wohngemeinschaft vorstellen, 60 Prozent in einem Mehrgenerationenhaus.

Wer 70 war, fühlte sich nicht alt

Die Mehrheit der Älteren fühlt sich fit für die Rente: Rund 60 Prozent möchten auch nach dem 65. Lebensjahr weiterarbeiten, wobei die Hälfte dies gerne in ihrem angestammten Beruf tun würde und die andere Hälfte sich auf etwas Neues einlassen möchte. Etwa die Hälfte betreibt regelmäßig Sport. „Wer heute Anfang 70 ist – Götz George zum Beispiel – ist einfach nicht alt, fühlt sich nicht alt und verhält sich nicht alt – zumindest die überwiegende Mehrheit“, schlussfolgerte Otten.

Die 50- bis 70-Jährigen, darunter auch immer mehr Männer, legen großen Wert auf ihre körperliche Gesundheit und Wohlbefinden. „Sie leben länger, bleiben länger jung und sind länger gesund.“

Debatte über aktive Senioren setze neue Norm

Soziologen warnen jedoch vor einer möglichen Diskriminierung. Die Debatte über aktive Senioren setze eine neue Norm; viele seien jedoch gesundheitlich nicht in der Lage, diese zu erfüllen. Die kranken, schwerstpflegebedürftigen Alten sowie die Demenzkranken dürften nicht aus den Augen verloren werden, betonte die Soziologin Silke van Dyk am Donnerstag auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Jena. Das verbreitete Credo laute: „Wer altert, hat nicht genug an sich gearbeitet.“

Das Nicht-Älterwerden werde zunehmend zur Frage des eigenverantwortlichen Engagements, und das Altern zu einem Versagen infolge von Inaktivität, kritisierte Hans-Joachim Kondratowitz vom Deutschen Zentrum für Altersfragen.

Warum bemängeln Senioren „kein Respekt vor dem Alter“?

Wie kann eine Generation sich über mangelnden Respekt vor dem Alter beklagen, wenn sie selbst sich nicht alt fühlt und nicht alt sein will? Aber die Antwort scheint nicht trivial zu sein. Da geht es nicht nur um einen angebotenen Sitzplatz im Bus oder um den legendären „Seniorenteller“.

Eine internationale Umfrage legte 2018 offen: Senioren genießen in Deutschland nicht besonders hohe Wertschätzung. Gemäß den gemeinsamen Erhebungen des Journalistenbüros Orb Media aus Washington, der Wochenzeitung „Die Zeit“ und „Zeit Online“ rangieren die Deutschen mit 3,86 von möglichen 5 Respektpunkten im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld. Ungarn zeigt die höchste Anerkennung für Senioren, während ältere Menschen in der Ukraine am wenigsten geschätzt werden.

Eine Gesellschaft, die das Alter respektiert, trägt maßgeblich zum Wohlbefinden der Senioren bei, wurde in der Studie betont. Zudem hat die Einstellung gegenüber älteren Menschen erhebliche Auswirkungen auf ihre Lebensqualität: Je größer der Respekt gegenüber Senioren ist, desto geringer ist ihre Gefährdung durch Armut. In Ländern, in denen ältere Menschen besonders geachtet werden, fühlen sie sich zudem geistig und körperlich agiler. Die positive Einstellung zum Alter ist in der Regel mit einem längeren Leben und einer längeren Gesundheit verbunden, so die Interpretation der „Zeit“ in Bezug auf die Studie.

Altersarmut – Grund für die negativen Auswirkungen?

Für Pensionierte gelten dieselben Schwel­len­werte wie für die übrige Bevölkerung. Aller­dings zeigt sich bei der älteren Be­völ­kerung das Ungleichgewicht zwischen Män­nern und Frauen am deutlichsten. Die Ar­mutsgefährdung lag bei Frauen ab 65 Jah­­ren signifikant höher als bei Männern. In derselben Al­ters­­klasse waren 21,0 % Frau­en armuts­ge­fähr­det, hingegen nur 17,4 % ihrer männ­lichen Pendants. Noch krasser fällt das bei der Generation 75plus aus. Auch hier darben 21 Prozent der Frauen im Vergleich zu 15,9 Prozent der Männer. Nied­rigere Löhne und Unter­bre­chung der Er­werbs­tätigkeit für die Kinder­erziehung spiegeln die ungerechte Ver­teilung wider.

Aber insgesamt schnitten die über 65-Jährigen mit einer Armutsgefährdungsquote von 19,4 Prozent gegenüber dem Bundes­durchschnitt 2021 laut Statistischem Bun­des­amt schlechter ab.

Rund die Hälfte der Ruheständler musste 2021 mit einem jährlichen Nettoäquivalenz­einkommen von weniger als 22.000 Euro auskommen.

Ein Teil des beschlossenen Entlastungs­paketes betrifft den jährlichen Steuergrund­frei­betrag. Für 2023 beträgt er 10.908 Euro und 11.604 Euro für 2024. Für Ehepaare gilt der doppelte Betrag. Damit fallen knapp 200.000 Rentner aus der Steuerpflicht.

Allerdings gibt es ab Juli 2023 für manche Rentner ein böses Erwachen. Durch die An­he­bung der Rente um 3,53 Prozent (West) be­ziehungsweise um 4,25 Prozent (Ost) fallen rund 87.000 Rentenbezüger neu unter die Steuerpflicht. Damit sind in Deutschland 5,9 Millionen Rentnerinnen und Rentner steuerpflichtig.

Diese schlechte wirtschaftliche Situation trägt mit Sicherheit zur Unzufriedenheit mit bei.